„Langsames Lesen ist out: Heute werden Millionen von Büchern im Nu mit dem Computer durchstöbert und erforscht.“ (1) Die Weltliteratur wird gescannt. (2) Literatur wird heute gerechnet. (3) Franco Moretti liest aus der Entfernung. Er befasst sich mit den „Praktiken des Nicht-Lesens“.
Er erweitert die Methoden der Literaturanalyse mit Kartographieren, mit Netzwerktheorie und mit Ansätzen aus der Evolutionstheorie. Eine weiter gefasste Literaturgeschichte verlange andere Fähigkeiten: Sampling, Statistiken, man müsse mit Reihen, Titeln, Registern, Incipits und vielleicht sogar mit «Bäumen» arbeiten (4).
Digital Humanities und Distant Reading
Digital Humanities sind an der Schnittstelle zwischen Geisteswissenschaften und Informatik angesiedelt. Sie nutzen digitale Forschungsressourcen, analysieren und visualisieren grosse Datenmengen. Dazu gehören beispielsweise digitale Editionen und die quantitative Textanalyse.
Distant Reading ermöglicht es im Unterschied zu Close Reading, die Datenmengen ganzer Korpora aus der Distanz zu lesen und zu visualisieren mit Hilfe von Programmen wie beispielsweise den Voyant Tools. Texte werden untersucht auf statistische und quantitative Merkmale. Solche Tools berechnen Satzlängen, Wortfrequenzen, Konkordanzen, Wortverteilungen und visualisieren diese.
Distant Reading ersetzt aber keine inhaltliche Auswertung und Interpretaiton. Close Reading und Distant Reading schliessen sich nicht aus, sondern können sich ergänzen. Distant Reading fordert heraus zum Erstellen von Hypothesen und verlangt Kreativität beim sinnvollen Befragen der Daten.
Distant Reading im Deutschunterricht
Mit Distant Reading können im Deutschunterricht fächerübergreifende Fragestellungen aufgegriffen werden zu Big Data, zu Algorithmen, zur Visualisierung von Daten.
Man kann zeigen, dass informatische Konzepte in vielen Bereichen des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens Einzug halten und dass riesige Textmengen mit rechnergestützten Methoden erforscht werden. Es lässt sich thematisieren, wie sich die Geisteswissenschaften in einer digitalisierten Umwelt neu zu orientieren versuchen mit den quantitativen Verfahren der Digital Humanities.
Voyant
Voyant ist ein browserbasiertes Tool-Portal zur Text- und Korpusanalyse. Es ist kostenfrei. Nach einer kurzen Einführung kann es auch von Laien intuitiv genutzt werden. Voyant bietet über 20 Untersuchungs- und Visualisierungstools. Texte können in fast allen Textformaten importiert werden. Die Ergebnisse lassen sich exportieren.
Besonders empfehlenswert ist das Portal forText. Literatur digital erforschen des Instituts für Germanistik der Universität Hamburg. Hier werden «einsteigerfreundlich aufbereitete Methodenbeschreibungen, Textsammlungen und Tools – von Digitalisierung über Annotation zu Interpretation und Visualisierung von Literatur» (5) angeboten, mit Materialien zum Selbstlernen.
Anwendungen und Fragestellungen
- Figurennetzwerke erstellen und mit anderen vergleichen.
- Wortwolken nutzen als erste Orientierung zum Inhalt eines Werks.
- Wortwolken als Ansatz, um eigene literaturwissenschaftliche Hypothesen zu bilden und mit Tools zu überprüfen.
- Darstellen von Frauenfiguren im Werk eines Autors oder in verschiedenen Werken einer Epoche.
- Untersuchen von Schlüsselwörtern in ihrem Kontext zu einem Motiv, einem Thema oder einer Epoche, z. B. zum Augenmotiv im Sandmann.
- Literaturgeschichtliche Fragestellungen
- Fragen zur Entwicklung von Personen
Der Workshop
Im Folgenden zeige ich einen Workshop zu Distant Reading mit einer Einführung in die Toollandschaft Voyant.
Diese Unterrichtseinheit habe ich erprobt mit einer vierten Klasse, die aus dem Schreibunterricht mit Peer-Feedbacks Erfahrung mit einfacheren Werkzeugen aus der Toolbox Textanalyse hatte.
Als Einstieg haben wir nicht den Schlachtbank-Artikel Morettis verwendet, sondern einen mehrseitigen Reader mit Auszügen aus verschiedenen seiner Aufsätze (5) und Sekundärliteratur dazu.
- Die SchüerInnen lesen als vorbereitende Hausaufgabe Franco Morettis Aufsatz Die Schlachtbank der Literatur und den Blogpost Digital Humanities und Distant Reading.
- Sie organisieren sich in einem für alle freigegebenen Ordner auf OneDrive und mit OneNote oder einem Worddokument für Notizen.
- Dann beschaffen sie sich die Textversion eines noch nicht gelesenen Werks der deutschen Literatur, das sie nur auf Distanz lesen. Sie laden dieses hoch in die Umgebung der Voyant Tools.
- Schliesslich werden sie mit einem Mix aus Theorie und Aufgaben in die Tool-Umgebung eingeführt:
- in das Voyant-Interface
- in die 5 Standardtools Cirrus, Reader, Trends, Contexts und Summary
- in die Panel Funktionen
- in das Einbinden externer Voyant Tools
Scrollen Sie durch den Workshop!
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Der Workshop als PDF-Download: Distant Reading mit Voyant
- (1) Mirko Bischofberger, 200 Jahre Weltliteratur in 0,4 Sekunden.
- (2) Steffen Martus, Weltliteratur gescannt.
- (3) LitRe-Wiki, Uni Göttingen.
- (4) Franco Moretti: Distant Reading. Aus dem Englischen übersetzt von Christine Pries. Konstanz 2016. Kapitel „Die Abschlachtung“.
- (5) forText. Literatur digital erforschen.
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