Seit einigen Wochen ist der Entwurf für den Lehrplan 21 öffentlich bekannt. Vor allem ein Thema wird seither heiss diskutiert: Wie und in welcher Form soll Informatik und Programmieren an den Schweizer Schulen unterrichtet werden. Hier ein Kommentar.
Soll Informatik ein eigenes Fach werden? Soll Programmieren in anderen Fächern wie Mathematik oder Physik unterrichtet werden, wenn sich grad eine Gelegenheit ergibt? Oder sollen Schüler nur gerade lernen, wie man Word und Excel benützt und wie man sich in Facebook richtig verhält? Diese Fragen hat die Präsentation des Lehrplans 21 Anfang Juli aufgeworfen. Und sie werden seither teilweise recht intensiv diskutiert. Das ist gut! Denn diese Diskussion war längst fällig und kann nicht intensiv genug geführt werden.
Führt man sich vor Augen, wie es an den Schweizer Schulen in diesem Bereich läuft, erkennt man die Absurdität der Situation. Längst haben sich Computer und andere programmierbare Geräte unseres Alltags bemächtigt. In vielen Drittweltländern wissen die Leute, dass sie eine Ausbildung in Informatik brauchen, wenn sie irgendwie Chancen auf Erfolg haben wollen. Doch in der Schweiz ist seit einigen Jahren der Programmierunterricht gänzlich aus dem Curriculum der gymnasialen Bildung gestrichen. Wer sich in diesem Bereich bilden will, kann dies seit 2006 zwar im Ergänzungsfach tun – während des letzten Jahres der Ausbildung und drei bis vier Lektionen pro Woche.
Zusammengefasst ist es so, dass die GymnasiastInnen bei ihrer Matura zwar von Hand Integrale berechnen können, sämtliche Zeitformen der französischen und englischen Grammatik kennen, detailliert über die chemischen Vorgänge in menschlichen Zellen Bescheid wissen, aber keine Ahnung haben, wie die gängigsten Algorithmen funktionieren, die sie täglich nutzen beim Suchen im Internet, beim Finden von Freunden in Facebook oder beim Berechnen einer Route von A nach B.
ICT im Lehrplan 21
Den MacherInnen des Lehrplans 21, die im Auftrag der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz festlegten, was in 21 Kantonen fortan gelehrt werden sollte, war offensichtlich bewusst, das diese Situation unhaltbar ist. Keine Informatik an der Schule geht nicht! Allerdings kamen sie zum Schluss, dass es sehr wichtig ist, dass die SchülerInnen über Anwenderkompetenzen verfügen und weniger wichtig, dass sie selbst programmieren können. Der Lehrplan 21 sieht zwar vor, dass Programmierunterricht stattfinden kann. Aber ein richtiges Gefäss oder gar ein eigenes Fach dafür gibt es nicht.
Dieser Umstand hat diverse Kritiker auf den Plan gerufen. Allen voran Jurai Hromkovic. Er ist Informatik- und Informatikdidaktik-Professor an der ETH Zürich. Er führt mit grossem Erfolg Programmier-Kurse an Schweizer Primarschulen durch und unterstützt Projekte in Lateinamerika, die Programmier-Unterricht für junge Menschen anbieten. Hromkovic setzt sich vehement dafür ein, dass alle SchülerInnen der Schweiz in ihrem Schülerdasein einmal ein eigenes Programm schreiben können. Dies sei eine Schlüssel-Kompetenz in der modernen Informations- und Bildungsgesellschaft.
Ins selbe Horn stösst auch die Hasler-Stiftung (
http://www.fit-in-it.ch). Sie setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Programmieren an Schweiz Schulen ein fester Bestandteil der Ausbildung wird. Dazu hat sie einen Gegenvorschlag zum Lehrplan 21 erstellt, der Informatik als Teil der Mathematik-Ausbildung an der Volksschule sowie ein neues Fach „Natur, Mensch, Gesellschaft, Information“ vorschlägt. Zudem setzt sie sich dafür ein, dass Informatik als Grundlagenfach im Gymnasium etabliert wird (siehe
Medienmitteilung) vergleichbar mit Mathematik oder Französisch.
Nicht zuletzt hat auch die Wirtschaft auf den Lehrplan 21 reagiert. Immerhin sind es die unzähligen IT-Betriebe in der Schweiz, die immer mehr auf ausländische Fachkräfte angewiesen sind, weil in der Schweiz zu wenig Informatik-IngenieurInnen ausgebildet werden. Der Verband ICTSwitzerland (
http://ictswitzerland.ch/publikationen/mehr-verbindlichkeit-fuer-digitale-kompetenzen-im-lehrplan-21) hat sich deshalb kürzlich in die Diskussion um Programmier-Unterricht an Schulen eingeschaltet. Auch er ist selbstredend der Meinung, dass dieses Fach ein grösseres Gewicht in der Schweizer Bildungslandschaft braucht.
Schule im 21.Jahrhundert?
Ein Argument, das gegen die Einführung von Informatik an unseren Schulen immer wieder ins Feld geführt wird, ist, dass man nicht für jede Modeerscheinung ein neues Fach einführen könne. Dem ist nichts zu entgegnen. Das stimmt natürlich voll und ganz.
Allein: Informatik, Informationswissenschaft, Computer Science oder wie man es immer nennen will ist keineswegs eine Modeerscheinung. Zwar sind Smartphones erst seit wenigen Jahren ein Thema. Doch die maschinelle Verarbeitung von Information hat eine lange Tradition: Seit ca. 220 Jahren in der Ingenieurs-Kunst (Charles Babbage), seit rund 80 Jahren in der Wissenschaft (Alan Turing) und seit Anfang der 80er-Jahre in der breiten Gesellschaft (Apple).
Mit dem gleichen Argument könnte man auch die Evolutionstheorie, die Quantenphysik oder die spieltheoretisch begründeten Wirtschaftswissenschaften als modische Strömungen abtun, die im Kanon einer humanistisch-aufklärerisch geprägten Gymnasialbildung nichts verloren haben.
Dieser Blog hat das Ziel, Lehrpersonen für den Einsatz von Web2.0 im Unterricht zu sensibilisieren und zu mobilisieren. Irgend jemand muss aber die ganzen Tools, die wir vorstellen, auch programmieren. Wo sollen diese Leute ihre Freude am Programmieren finden, wenn nicht in unseren Schulen?
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