Der Stilpapst im Deutschunterricht

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Seit einigen Jahren lese ich mit meinen Klassen Wolf Schneiders „Deutsch für Profis“. Die Lektüre ist eingebettet in das Schreibtraining. In diesem Post gehe ich zuerst kurz auf das Werk ein und skizziere anschliessend, wie wir es im Unterricht einsetzen.


Wolf Schneider

Wolf Schneider wurde am 7. Mai 1925 in Erfurt geboren. Er arbeitete als Journalist bei der „SZ“, beim „Stern“, bei der „Welt“ und beim „Springer-Verlag“. Er ist der Autor von 28 Sachbüchern und der meistgelesene Stillehrer deutscher Sprache. Er war Leiter der Hamburger Journalistenschule. Er gilt als „Levitenleser der Nation“ und als „Stilpapst“.

Kuratorium für Journalistenausbildung: Ein Abend mit Wolf Schneider


Deutsch für Profis

„Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil“ wurde bereits 1982 veröffentlicht. Das Werk ist Pflichtlektüre für Journalisten. Wolf Schneider zeigt auf 288 Seiten in 30 Kapiteln, wie man ein gutes Sprachgefühl entwickelt und wie man zu gutem Stil kommt.

Er streitet sich gerne und debattiert mit erfrischender Polemik. Mit einer grossen Sammlung von Negativbeispielen aus der Presse weist er nach, wie arglos Journalisten mit der deutschen Sprache umgehen. Immer wieder nimmt er den „Spiegel“ aufs Korn und nennt ihn „den obersten Verhunzer der deutschen Sprache“.

Er kämpft gegen geblähte Floskeln und Manierismen, gegen Phrasen und Klischees, gegen schreienden Stil, gegen Desinformation und gegen Zunftjargon. Er zeigt aber auch, wie man es besser machen kann, wie man aus Satzgerümpel schlanke Sätze formt. Er plädiert für Farbe und Kraft und für „Sätze, die rote Backen haben“.

Die meisten Kapitel sind nach demselben Schema aufgebaut: Nach einer Einführung in das Thema folgt eine Kritik mit handfesten Beispielen, am Schluss stehen praktische Rezepte. Schneider bezieht sich auf Stilisten wie W. E. Süskind, Mackensen, Reiners, Leonhardt oder Sowinski. Er möchte die bequemsten Wege zu besserem Deutsch aufzeigen. Die Aufgabe des Journalismus sei: „Eine immer kompliziertere Welt noch weit verständlicher darstellen, als das früher nötig war.“

Nach sechs einführenden Kapiteln zum „miserablen Deutsch“ in Rundfunk und Presse folgen sechs Kapitel zu den Wörtern, dann sechs Kapitel zum Satzbau. Der zweite Teil zeigt, wie man verständlich, gut, interessant und korrekt schreibt. Am Ende steht mit „Schludereien und Marotten“ eine ausführliche Liste von Fehlern, ausgeleierten Floskeln und abgewetzten Modewörtern.

Der erste Teil befasst sich mit den Wörtern. Schneider fordert schlichte und kurze Wörter, Wörter, die unter die Haut gehen. Er wendet sich gegen Füllwörter und törichte Superlative. Im Kapitel „Weg mit den Adjektiven! Her mit den Verben!“ zeigt er, dass jedes gestrichene Adjektiv ein Gewinn ist. Er empfiehlt das Passiv-Partizip als Wortsprungbrett hinter dem Substantiv: „Strassburg hart umkämpft seit…“. Anstelle von Substantiven und Streckverben, anstelle von toten Verben plädiert er für das starke, anschauliche Verb. Er weist hin auf das falsche Imperfekt, das leidige Plusquamperfekt, das ärgerliche Passiv und den hässlichen Infinitiv.

Der zweite Teil befasst sich mit dem Satz. Dies sind die Kernkapitel. Schneider kritisiert Bandwurmsätze, Schachtelsätze, Satzgirlanden, Nominalgruppen und Sätze mit zu vielen Attributen. Er entwickelt Strategien, wie man das Umklammerungsgesetz der deutschen Syntax aufbrechen, wie man Klemmkonstruktionen zerschlagen kann. Die Generalregeln sind: „Subjekt nach vorn!“ und „Verb nach vorn!“. Lange Sätze sollen mit einem Doppelpunkt als Scharnier zerschlagen werden. Er fordert linear gebaute Sätze, die von einem Konferenzdolmetscher simultan in eine Fremdsprache übersetzt werden könnten.

Im Kapitel „Die verschenkte Interpunktion“ sensibilisiert er den Leser für den sparsamen Einsatz von Ausrufezeichen, Auslassungspunkten und dem Doppelpunkt nach Spiegel-Manier. Stattdessen konzentriert er sich auf die erfreulichen Satzzeichen wie den einfachen Gedankenstrich, das Fragezeichen und das Semikolon. Drei populäre Kommafehler schliessen das Kapitel ab.

In den Ausführungen zur Orthografie der „leidigen Ziffern“ klärt er die Verwirrung um Begriffe wie Ziffer, Nummer und Zahl und räumt auf mit der „gröbsten und dümmsten Faustregel“ seines Gewerbes: „Bis zwölf in Buchstaben, von 13 an in Ziffern.“

In den restlichen Kapiteln befasst er sich mit „Farben und Bildern“, mit ruinierten Metaphern, mit dem „Rhythmus ohne Verse“. Der fruchtbarste Rat sei, sich die richtigen Muster und Meister zu wählen: Luther, Lichtenberg, Goethe, Jean Paul, Schopenhauer, Büchner, Heine, Nietzsche, Freud und Brecht; sie seien die grossen Stilisten.

Spannend und hilfreich sind auch die zitierten Ratschläge der Grossen der Literatur:

  • „Hauptsätze! Hauptsätze! Hauptsätze!“ (Kurt Tucholsky „Ratschläge für einen guten Redner“)
  • „Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön!“ (Lessing als Vierzehnjähriger an seine Schwester, 1743)
  • „Wenn der deutsche Schriftsteller in einen Satz taucht, dann hat man ihn die längste Zeit gesehen, bis er auf der anderen Seite seines Ozeans wieder auftaucht mit seinem Verbum im Mund.“ (Mark Twain zum deutschen Schachtelsatz)

Im 29. Kapitel „Einfangen und Weichen stellen“ geht es um den ersten Satz, mit dem man sich die Tonlage und die Gliederung seines Textes vorgibt. Schon in der ersten Zeile müsse man um den Leser werben, indem man geschickt eine Erwartung aufbaut oder mit einer Gegensatzspannung oder einer Sentenz das Interesse weckt. Am Anfang eines Textes sei der kurze Satz der grösste.

Das Werk schliesst mit dem Kapitel „Volkes Maul ist nicht genug“. Hier konzentriert er sich auf das korrekte Schreiben, auf den „schönen, schlimmen Konjunktiv“ und auf die Deklination.

Inhalt „Deutsch für Profis“

Schneider im Unterricht

„Deutsch für Profis“ begleitet in den letzten eineinhalb Jahren unseren Schreibunterricht. Die Lektüre ist auf drei Semester verteilt, mit grossen Pausen dazwischen. So ist sichergestellt, dass wir die Stilistik immer wieder aufgreifen. Der Text muss natürlich nicht ganz gelesen werden. Man kann auch nur einzelne Kapitel auswählen, z. B. zum Satzbau, zu den Wörtern oder zum ersten Satz.

Parallel zur Lektüre bearbeiten die Lernenden zwei Seiten in OneNote: eine zu Schneiders Forderungen und zu ihren Erkenntnissen, eine mit den Leitfragen und Übungen. Am Ende der Lektüre erstellen sie aus ihren Notizen eine Checklist mit praktischen Regeln für ihr weiteres Schreiben und für den Maturaaufsatz.

Im Unterricht sichern wir nach der Lektüre den Inhalt. Wir diskutieren in Kleingruppen und im Plenum Schneiders Thesen und Tipps. Wir bearbeiten Übungen, formulieren um und suchen nach eleganteren Lösungen. Die Lernenden analysieren immer wieder ihre eigenen Texte auf stilistische Schwerfälligkeiten und Highlights.

Die Lektüre ist in die Feedbackarbeit eingebettet. In den ersten zwei Jahren sind wir vertraut geworden mit dem Basis Feedback und mit der Arbeit mit Online Tools wie Wortliga, Schreiblabor oder DeepL. Von nun an kommt das Stilistik Feedback hinzu. Einmal achten sie auf den Satzbau, ein anderes Mal auf den ersten Satz, dann auf die Wortwahl. Für die Benotung passe ich mein Bewertungsraster jeweils entsprechend an. So erhält die Feedbackkultur ständig neue Impulse.

Nachdem wir den ganzen Text besprochen haben, lesen wir einen journalistischen Text von Wolf Schneider. Wir prüfen mit unserer Checklist, ob der „Stilpapst“ als Journalist seine eigenen stilistischen Forderungen auch einhält. Als Textgrundlage dient uns ein Text wie Stummer Prunk in Marmor und Acryl, den er am 02.08.1999 im „Spiegel“ veröffentlichte.

In der mündlichen Maturaprüfung beginnen wir mit dem Textauszug eines literarischen Werks. Die Maturanden und Maturandinnen ordnen diesen in den Gesamtzusammenhang ein und weisen rhetorische Mittel nach. Anhand von „Deutsch für Profis“ versuchen sie dann auch stilistische Merkmale zu erkennen, z.B. Klemmkonstruktionen, Parataxe, Hypotaxe oder Übertreibungen, Schwulst, Füllwörter, Redundanz, Metaphern.

Die intensive Beschäftigung mit diesem Werk schärft das Sprachgefühl, erweitert das Sprachbewusstsein und fördert einen bewussteren Umgang mit der Sprache. Die stilistische Kompetenz wird verbessert, die Schüler und Schülerinnen werden befähigt, zu ihren eigenen wie zu fremden Texten eine distanziertere Haltung einzunehmen.

Der Humor, die hervorragenden Beispiele und die griffigen Tipps machen die Lektüre sehr unterhaltsam. Die Lernenden lesen Schneider gerne. Sie erkennen, dass man sich beim Schreiben plagen, dass man hart an einem Text arbeiten und feilen muss, dass man ohne Handwerk nicht weiterkommt.

Im folgenden Video aus der Reihe „Speak Schneider!“ werden die Deutschlehrer angesprochen.

Speak Schneider! Liebe Deutschlehrer!


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