Das automatische Texteschreiben sei „eine echte Disruption, eine Erschütterung des Bildungssystems, ja, der gesamten Gesellschaft“, sagt Doris Wessels (Neubert).
Der Ausgangspunkt für diesen Post waren drei verschiedene Beiträge, die meine Aufmerksamkeit erregten und mich dazu brachten, weiter zu recherchieren und Tools wie GPT-3, Copy.ai, Mindverse, Headlime selbst auszuprobieren:
- Zunächst ein Tweet von Sascha Marchetto zu DeepL (25.11.21). Er zeigt, dass Lernende ganze Texte mit DeepL zuerst ins Englische und dann wieder zurück ins Deutsche übersetzen. Das Resultat sei dann fehlerfrei, stilistisch überarbeitet und habe keine Kommafehler mehr.
- Dann der Post von Philippe Wampfler auf dem Blog Schule Social Media (29.11.2021): „Automatische Texte mit GPT-3: Das Ende der Aufsatzdidaktik„. Das Programm schreibe Texte von einer bestechenden Qualität, beispielsweise auch Schulaufsätze. Er kommt zum Schluss: „Wer Jugendliche umfassend bilden will, stellt ihnen diese Möglichkeiten zur Verfügung und schafft Settings, in denen ein reflektierter, kritischer und bewusster Einsatz von Technologie möglich ist.“
- Schliesslich der Post von Christoph Steiner in seinem Digithek Blog (08.04.22): „Cheaten 2.0. Wie Schüler heute schummeln“. Er verlinkt auf eine Präsentation, die skizziert, wie Lernende heute mit solchen Textwerkzeugen umgehen.
Bei meinen Recherchen zu KI-Schreibtools habe ich dann Doris Wessels entdeckt, die eine ganze Reihe von Aufsätzen über das Schreiben mit KI-Textprogrammen veröffentlicht hat und auch nach den Folgen für die Lehre fragt.
In ihren Aufsatz „Digitale Disruption und Künstliche Intelligenz – Hochschulen im Dornröschenschlaf?“ führt sie einleitend aus:
„Die Erstellung von Texten durch Künstliche Intelligenz macht massive Fortschritte und stellt Hochschulen und Wissenschaft vor enorme Herausforderungen: Dies betrifft die Urheberschaft wissenschaftlicher Texte, die Qualitätssicherung und die Schreibkompetenz als akademische Basisdisziplin für kritisches Denken.“ (Wessels, 20.10.2020)
Sie schliesst mit ähnlichen Gedanken wie Wampfler – dass wir Einflüsse durch KI-generierte Texte im Bildungsbereich nur sehr bedingt ausbremsen können. Die Herausforderung bestehe darin, diese Veränderungsprozesse mitzugestalten.
Fragen
Das Erstellen von Texten durch Künstliche Intelligenz stellt unsere Schulen und Universitäten vor herausfordernde Fragen:
- Wie gehen wir damit um, dass maschinell erstellte Texte nicht mehr von Menschen geschriebenen Texten zu unterscheiden sind und nicht mehr als Plagiate erkannt werden können?
- Wem gehören diese Texte?
- Was für Folgen haben KI-Text-Tools für Open-Book-Prüfungen, für Matura- und Seminararbeiten?
- Welche Auswirkungen haben Textgeneratoren auf die Schreibkompetenz als Grundlage für kritisches Denken? (Wessels, 20.10.2020)
- Bedeuten automatisierte Texte das Ende der Aufsatzdidaktik? (Wampfler, 29.11.2021)
- Müssen wir in Zukunft noch schreiben lernen?
Die Tools
GPT-3 sei momentan der grösste menschenähnlichste NLP Transformer. Der Name steht für Generative Pretrained Transformer. Dieses Sprachverarbeitungsmodell hat 175 Milliarden Parameter, es wurde mit Millionen von Texten trainiert und versteht, wie Menschen schreiben. Es ist eine Entwicklung des Unternehmens Open AI, an dem auch Elon Musk beteiligt ist.
GPT-3 verfasst Betreffzeilen, Tweets, Bedienungsanleitungen, Gedichte und Kurzgeschichten. Es erzeugt Regex und lauffähigen Code, es erstellt Diagramme und Tabellen, spielt Spiele und philosophiert. (Gehles, Mai 21) GPT-3 verwendet ein neuronales Netz auf der Grundlage eines Deep Learning-Models. Es nutzt bestimmte KI-Algorithmen und vorhandene Inhalte, um neue Inhalte zu kreieren. (Gehles, Mai 21)
Seit dem letzten November wird über den Playground ein direkter Zugang angeboten, der vorher aus Furcht vor bösartigen Anwendungen noch nicht zugänglich war!
Textgeneratoren und KI-gestützte Schreibassistenten, die mit GPT-3 Technologie arbeiten, sind beispielsweise Jasper und Copy.ai und Headlime und Mindverse.
Was KI-Text-Tools können
KI-Schreibtools können Grammatikfehler korrigieren, Sätze umschreiben, den Tonfall anpassen, den Stil verbessern. Sie können Inhalte kreativer, interessanter und ansprechender machen. Sie schreiben Einleitungstexte und Zusammenfassungen, sie schlagen Gliederungen vor, empfehlen neue Quellen, strukturieren grössere Werke um. Sie bieten Paraphrasierungs- und Rewriting-Tools, so etwa Speedwrite, QuillBot oder Keenious.
Texte können KI-unterstützt auch fortgeführt werden. Nach einer kurzen Texteingabe, zum Beispiel einer Aufgabenstellung zu einem Aufsatz, werden neue Abschnitte oder ganze Texte generiert. Dies sind Unikate. Da die Tools über eine integrierte Plagiatsprüfung verfügen, machen sie die automatisch generierten Texte plagiatssicher.
KI-Schreibtools liefern qualitativ hochwertige Texte. Und sie nehmen dem Autor beim Schreiben viel Arbeit ab!
Beispiel
Mensch oder Maschine? Dieser Artikel wurde von Doris Wessels und mehreren KI-Tools verfasst. Können Sie erkennen, welche Abschnitte vom Menschen und welche von der Maschine stammen? Die Auflösung findet sich am Schluss ihres Dokuments.
Lösungsansätze
Mit KI gegen Plagiate
Herkömmliche Plagiat-Checker erkennen automatisch geschriebene Texte nicht. Mögliche Lösungen könnte aber wieder die KI liefern. Zenthöfer weist in seinem Aufsatz „Mit KI gegen Plagiate“ auf Programme hin, die „verschiedene Ähnlichkeitsmerkmale wie Texte, Abbildungen, Quellenverweise, Tabellen, mathematische Ausdrücke und Schreibstil kombiniert“ betrachten und gewichten können. (Zenthöfer, 24.10.2019) Ein solches KI-Plagiatserkennungssystem ist HyPlag.
Zenthöfer weist auf Ansätze hin, mit denen sich bei verdächtigen Veränderungen des Schreibstils innerhalb eines Dokuments erkennen lässt, ob sie vom selben Autor oder von einer anderen Quelle stammen. Ein solches Tool zum Überprüfen der Integrität der Autorenschaft ist Turnitin Originality.
Handlungsempfehlungen
Auf die Frage, wie sich Hochschulen neu ausrichten können, gibt D. Wessels die folgenden Handlungsempfehlungen (25.06.2020):
- Projektorientierte, praxisrelevante Aufgabenstellungen ausweiten.
- Einzigartige und singuläre Fragestellungen präferieren.
- Den Anteil mündlicher Prüfungen zu Lasten schriftlicher Arbeiten erhöhen.
- Die Aufklärungsarbeit und Weiterbildung für Lehrende forcieren.
- Einen Verhaltens- und Ehrenkodex fest in der Prüfungsordnung verankern.
Dokumentieren des Entstehungsprozesses
Wessels nennt auch die Blockchain-Technologie als einen Lösungsansatz. Damit liesse sich der Entstehungsprozess eines Werks dokumentieren:
„Ein möglicher Lösungsbaustein für die Zukunft könnte durch die Nutzung der Blockchain-Technologie entstehen, die einen ‚digitalen Fingerabdruck‘ für wissenschaftliche Arbeiten und ihren Entstehungsprozess mit den unterschiedlichen Versionen ermöglicht.“ (Wessels, 20.10.2020). Das Unternehmen OriginStamp bietet einen solchen Zeitstempeldienst kostenfrei an.
Fazit
Einerseits sind KI-Text-Tools eine Gefahr für das Schreiben in der Schule und in der Wissenschaft. Sie können für Plagiate missbraucht werden. Dies gilt vor allem für Arbeiten „die auf Literaturanalysen oder historischen Gedankengängen aufbauen. Das passiert häufiger in den Geistes- und Sozialwissenschaften.“ (Neubert)
Andererseits könnten solche Tools, wenn man sie bewusst als Co-Autoren nutzt, zu einem sinnvollen Teil des Schreibprozesses werden. Sie könnten Anregungen geben und helfen, Schreibblockaden zu überwinden und Schreibängste abzubauen: „KI-Schreibpartner als Ausweg aus der Ideenlosigkeit.“ (Wessels, 11.08.2021)
Wir dürfen diese neuen Möglichkeiten nicht verdrängen, sondern wir müssen uns rechtzeitig mit ihnen auseinandersetzen, die Veränderungen mitgestalten und überlegen, wie uns KI-Anwendungen erfolgreich bei der Texterstellung unterstützen können. Wenn Menschen und Maschinen zusammenarbeiten, können solche Werkzeuge gewinnbringend im Unterricht eingesetzt und die neuen kollaborativen Schreibprozesse als bereichernd erfahren und mitgestaltet werden.
Literatur
- Alloatti, Sara und Martini, Letizia: Maschinelle Übersetzungstools im Fremdsprachunterricht. Einführung mit Unterrichtsbeispielen für das Fach Italienisch. 2021.
- Gehles, Sharon: „GPT-3 für die deutsche Sprache – Was hat es damit auf sich?“(Gehles, Mai 21).
- Neubert, Hannes-J: „KI: Wenn der Computer Aufsätze schreibt.“ (Neubert).
- Turnitin: „So können Lehrkräfte sich auf KI-basierte Texte vorbereiten.“ (Turnitin, 21.05.2020).
- Wampfler, Philippe: „Automatische Texte mit GPT-3: Das Ende der Aufsatzdidaktik.“ (Wampfler, 29.11.2021).
- Wessels, Doris: „Ein KI-Schreibpartner als Ausweg aus der Ideenlosigkeit?“ (Wessels, 10.02.2022).
- Wessels, Doris: „Plagiate. KI-gestützte Textproduktion an Hochschulen.“ (Wessels, 20.12.2021).
- Wessels, Doris: „Die neue Art des Schreibens ist da: Menschen und Maschinen arbeiten zusammen.“ (Wessels, 11.08.2021).
- Wessels, Doris: „Digitale Disruption und Künstliche Intelligenz – Hochschulen im Dornröschenschlaf?“ E-Paper der Friedrich-Ebert-Stiftung. (Wessels, 20.10.2020).
- Wessels, Doris: „Die unerträgliche Leichtigkeit des (wissenschaftlichen) Schreibens. Mit Ghostwritern und Künstlicher Intelligenz auf der Überholspur.“ (D. Wessels, 25.06.2020).
- Zenthöfer, Jochen: „Mit KI gegen Plagiate: Warum Tausende ihren Doktortitel aberkannt bekommen könnten.“ (Zenthöfer, 24.10.2019).