Digital Manifest: Diktatur der Algorithmen?

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Was soll die grosse Aufregung um Big Data? So lange ich
nichts Aussergewöhnliches anstelle, gehe ich in der grossen Masse unter. So mag
man denken. Doch das ist falsch! Wir laufen Gefahr, uns unsere Entscheidungen
von Algorithmen diktieren zu lassen. Unternehmen wir nichts, droht eine
Diktatur der Algorithmen. Dieses düstere Bild zeichnet das Digital
Manifest
von neun Europäischen Experten. Sie zeigen eine Strategie auf, wie
man Freiheit und Demokratie auch im digitalen Zeitalter sichern kann.

Von Big Data zu Big Nudging

Sucht man bei Google auf dem Smartphone oder dem Laptop nach
den gleichen Begriffen, können sich die Suchresultate unterscheiden. Dies ist
kein Fehler von Google, sondern volle Absicht. Aus der grossen Flut von
Suchresultaten wählt Google mit einem Algorithmus jene aus, die einen am
meisten interessieren könnten. Und dieses Interesse scheint, wenn man am Smartphone sucht, nicht das gleiche zu sein, wie wenn man die gleiche Suche am Laptop tätigt. Google beurteilt das individuelle Interesse aufgrund der Daten die das Unternehmen über einen gesammelt hat.
Daraus hat es Persönlichkeitsprofile von einem erstellt, aufgrund derer es einem die – vermeintlich priorisierten – Informationen präsentiert.
Mit anderen Worten: Google nimmt sehr direkten Einfluss auf
unsere Wahrnehmung der Umwelt. Fälle man aufgrund derart aggregierter
Informationen, so ist man dabei unter anderem – ohne dessen
bewusst zu sein – auch abhängig von Algorithmen, die bei Google entwickelt worden
sind.
Im Extrem-Fall könnte Google unsere Entscheidung derart stark
beeinflussen, das man nicht mehr von freiem Wille sprechen kann. Das
Unternehmen würde uns mit einem raffinierten Algorithmus sozusagen zu einer
Entscheidung drängen oder wenigstens anschubsen. Ein solches Anschubsen zu
einer Entscheidung wird «Nudging» genannt.
Wenn Behörden ihre Bürgerinnen und Bürger zu einem
bestimmten Verhalten schubsen, mag das problematisch sein. Wenn es aber
Unternehmen mit Algorithmen tun, droht die Automatisierung der Gesellschaft und
damit verbunden eine Verlust der des freien Willens.
Dieses Szenario zeichnen neun Europäische Experten in ihrem «Digital
Manifest»
, das sie in der Januar-Nummer der Zeitschrift «Spektrum derWissenschaft» lancieren. Ihrer Meinung nach droht «Big Nudging» als direkte Konsequenz von „Big Data“.

Freiheit und Demokratie in Gefahr

Solche Methoden, die erst durch Big Data ermöglicht werden,
stellen die Gesellschaft vor ganz neue Herausforderungen. Die Autorin und die
Autoren des Manifests wähnen die Menschheit an einem Scheideweg. Wenn wir jetzt
die geeigneten Schritte unternähmen, böte uns die Digitalisierung die Chance
auf eine Demokratie 2.0. Andernfalls drohe Feudalismus 2.0; eine Gesellschaft
von ferngesteuerten, digitalen Sklaven, die ihre Selbstbestimmung aufgegeben
hätten und nach dem Kommando von gewinnorientierten Firmen aus dem Silicon
Valley handelten.
Einen der Grundsteine für eine mögliche Fehlentwicklung orten die
Experten bei der personalisierten Information. Diese verunmögliche uns autonome Entscheidungen, indem sie eine «Filter Bubble» um uns herum baue –  eine Art digitales Gedankengefängnis, aus dem
man kaum mehr ausbrechen könne. Dies bewirke eine Zersetzung des
gesellschaftlichen Zusammenhalts, weil sich die Menschheit in immer mehr in
sich geschlossene Splittergruppen fragmentiere, die untereinander keine
gemeinsame Sprache mehr hätten. Es drohe ein Verlust der Soziodiversität.

Konsequenzen

Um einer derartigen Entwicklung entgegenzuwirken, bedürfe es
jetzt geeigneter Massnahmen, fordern die Expertin und die Experten im
„Digital Manifest“. Zentraler Begriff in den Forderungen ist die „kollektive
Intelligenz“, die es unbedingt zu erhalten und auszubauen gelte. Wichtige Hilfsmittel dazu seien
Citizen Science, Crowd Sourcing und Online-Diskussionsplattformen. Es brauche
eine „digitale Aufklärung“.
Konkret fordert die Gruppe, der auch drei ETH-Professoren
angehören, dass transparente Organisationen geschaffen werden, die für die
Sammlung von persönlichen Daten als Treuhänderinnen fungierten. Die Nutzerinnen
und Nutzer sollen selber darüber entscheiden können, welche über sie gesammelten Daten zur Auswertung freigegeben werden und welche nicht. Damit diese Regeln auch
eingehalten werden, fordert die Gruppe nicht nur neue Gesetze, sondern auch
eine „Art hippokratischen Eid für IT-Experten“, nach dem es
verwerflich ist, heimlich gesammelte Daten über Personen kommerziell oder
politisch zu verwerten.
Speziell für die Bildung fordert die Gruppe, dass Kinder und
Jugendliche zu kritischem Denken, Kreativität und Erfindergeist angeregt werden
sollen. Die Ausbildung müsse einen „verantwortungsvollen und kritischen
Umgang mit digitalen Technologien vermitteln“.
Das digitale Zeitalter berge zwar Gefahren. Es böte sich
aber auch die grosse Chance, die Demokratie zu verbessern und globale Probleme
mit einer aufgeschlossenen und partizipativen Zivilgesellschaft zu lösen.
Das ganze „Digital-Manifest“ mit Zusatzartikeln
gibt es hier:

Artikel zum Thema Nudging:

–         
https://de.wikipedia.org/wiki/Nudge
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